Afrofuturismus

Afrofuturismus wird oft als Genre oder Black Science-Fiction definiert. Dahinter steht jedoch ein ganzes Universum aus Kunst, Musik, Literatur und damit verbunden eine ganze kulturelle Ästhetik mit dem zentralen Aspekt, eine Gegenperspektiven zu westlichen Entwürfen der Zukunft. Entstanden in den USA, als Utopie der Afroamerikaner, für einer bessere Zukunft und für die Suche nach kultureller Heimat, Identität und Selbstbestimmung(1).

 

Der Begriff entstand erst im Jahr 1993, als er in einem Essay des Literaturkritikers Mark Deny genannt wurde. Dieser stellte dort die Frage, warum es eigentlich so wenig afro-amerikanische und afrikanische Autoren gibt, die selbst Science-Fiction schreiben – ihre Geschichte würde sich doch selbst wie eine lesen: „Das ist gerade so verblüffend, weil die Afro-Amerikaner wortwörtlich Nachfahren von einer Alien-Entführung sind. Sie leben in einem Sci-Fi-Albtraum, in der ein unsichtbares, aber undurchdringliches Kraftfeld aus Intoleranz ihre Bewegungen einschränkt" (2).

 

Heute wird Afrofuturismus in Hinblick auf aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen betrachtet. Im Mittelpunkt steht das Potential des Afrofuturismus als Möglichkeit, sich neuen Zukunftsentwürfen zuzuwenden. Dabei geht es nicht nur um Fortschritt, sondern auch darum, sich auf die Vergangenheit zu besinnen um die Probleme der Gegenwart anzugehen und die Zukunft neu zu denken.

 

Die Kulturwissenschaflerin Peggy Piesche sagt hierzu:

„Ich glaube, dass afrikanische spekulative Narrative und Afrofuturismus uns einen bitteren Spiegel vorhalten, aus dem wir heraussehen, dass unser eigenes Nichtwissen uns über Jahrhunderte getragen hat, damit meine ich natürlich die westliche Wissenstradition. Getragen von Kant, Hegel und vielen mehr, haben wir uns eine Definition aufgebaut im Westen, was wir vermeintlich damit verbinden, was Kultur ist, was Tradition ist, was Geschichte ist und wer dazu beigetragen hat“ (3).

 

Quellen:

(1)https://www.goethe.de/de/kul/ges/eu2/pog/21343983.html

(2)https://www.deutschlandfunkkultur.de/afrofuturismus-widerstand-gegen-eine-weisse-zukunft-100.html

(3)https://www.deutschlandfunkkultur.de/afrofuturismus-widerstand-gegen-eine-weisse-zukunft-102.html

Afrofuturismus in der Musik: Sun-Ra

Als Wegbereiter und Blaupause des Afrofuturismus, wie er uns heute in Musik und Popkultur begegnet, gilt der Jazzmusiker Sun-Ra. 

Zur Lebensgeschichte von Sun-Ra, geboren als Herman Poole Blount, war lange Zeit wenig bekannt, da Sun Ra selbst dazu keine Auskunft gab und bis zu seinem Tod behauptete, ein Zeitreisender zu sein, der vom Planeten Saturn auf die Erde kam. Erst durch die Recherche des Professors für Anthropologie und Black American Studies, John Szwed,  wurden viele Details über das Leben von Sun Ra bekannt.

 

Geboren wurde Herman Poole Blount 1914 in Birmingham, Alabama. Zu dieser Zeit und vor allem auch an diesem Ort, waren Rassismus und Segregation besonders ausgeprägt. So sehr, dass der Südstaaten-General und S Robert E. Lee einst damit prahlte, Birmingham habe die höchste Anzahl an Mitgliedern des Ku-Klux-Klan, welcher damals zahlreiche Lynchmorde und Attentate gegen Schwarze verübte.

 

In Birmingham besuchte Blount die "Industrial High School for Coloured People" und galt dort als ruhiger, höflicher und introvertierter Schüler mit sehr guten Noten. Bei seinem Musiklehrer John T. "Fess" Whatley , der  für seine Disziplin und seinen hohen Ansprüche bekannt war , lernte er schon mit 11 Jahren das komponieren sowie frei zu spielen, so dass er bereits als Teenager semi-professionell als Solo-Pianist und mit verschiedenen Bands auftrat.

 

Seine Familie war sehr religiös, jedoch an keine offizielle Kirche angebunden. Er selbst beschäftigte sich mit einer Vielzahl von esoterischen und spirituellen Konzepten, die er in unzählige Bücher fand. Dabei nutzte er früh die Gelegenheit der "Prince Hall Freemansonry", eine der wenigen Bibliotheken, an dem  auch nicht weiße uneingeschränkten Zugang zu Büchern hatten. Zwischen 1936 and 1937 verließ er das College nach nur einem Jahr. nachdem er in eine visionären Erfahrung erlebte, die sein Leben stark beeinflusste. Im Zustand einer tiefen Meditation, wurde er nach eigener Aussage zum Planeten Saturn transportiert, wo ihm die Mission anvertraut wurde, Frieden durch Musik zu predigen, auf einem Planeten, der sich auf dem Weg ins Chaos befindet.

 

„My whole body changed into something else. I could see through myself. And I went up... I wasn't in human form... I landed on a planet that I identified as Saturn... they teleported me and I was down on [a] stage with them. They wanted to talk with me. They had one little antenna on each ear. A little antenna over each eye. They talked to me. They told me to stop [attending college] because there was going to be great trouble in schools... the world was going into complete chaos... I would speak [through music], and the world would listen. That's what they told me.“

Sun Ra diskutierte diese Vision ohne wesentliche Änderung bis zu seinem Lebensende 

 

In den folgenden Jahren baute er das erste Stockwerk seines Familienhauses zu einem Konservatorium um, wo MusikerInnen jederzeit ein und ausgehen konnten und wo er mit allen Interessierten über Religion, Esoterik und Philosophie diskutieren konnte. In dieser Zeit entwickelte sich Blount zu einem einzigartigen, hingebungsvollen Musiker, der kaum schlief und sich ausschließlich der Musik widmete. Er gründete das Sonny Blount Orchestra, das er mit hohem Anspruch an die MusikerInnen und unter strengen täglichen Proben leitete. Das Orchester erwarb sich schnell den Ruf einer beeindruckenden, disziplinierten Band, die in einer Vielzahl von Stilen mit gleichem Können spielen konnte.

 

Nachdem er wegen seiner Militärdienstverweigerung im Jahr 1942 zwei Jahre in Haft verbrachte, zog er nach Chicago. Dort kam er erstmals in Kontakt mit afroamerikanischen politischen Aktivisten. Schon bald legte er, ähnlich wie viele andere afroamerikanische KünstlerInnen seinen Namen (Slave Name) ab, und nannte sich fortan Le Sony Ra, kurz Sun Ra, in Anlehnung an den ägyptischen Sonnengott "Ra". In Chicago bildete sich schließlich der erste Kern, der später das Sun-Ra Arkestra werden sollte. Mitte der 50er Jahre gründete Sun Ra das Label „El Saturn Records“ mit seinem Freund und Unterstützer Alton Abraham, was für diese Zeit noch sehr ungewöhnlich war. In den späten 1950er Jahren begannen Sun Ra und seine Band, ausgefallene Kostüme und Kopfbedeckungen im ägyptischen Stil oder im Science-Fiction-Stil zu tragen. Dieser im Nachhinein als „afrofuturistisch“ zu bezeichnende Stil wird zum Markenzeichen, welches das Arkestra auch auf der Bühne wiedererkennbar machen wird. 1961 zog die Band nach New York und lebte dort in einer Wohngemeinschaft zusammen. Kurz darauf etablierte sich das Sun Ra Arkestra einen regelmäßigen Abend in dem Jazzclub „Slugs Saloon“. In dieser Zeit erregte die Band erstmals größere Aufmerksamkeit in der „Beat Generation“ und ersten Anhängern von Psychedelika. 1968, als die kosten in New York für die Band zu hoch wurden, zogen sie weiter nach Philadelphia. Dort entstand schließlich das „Arkestral Institute of Sun Ra“, einer Art Basis der Band, bis zu Sun Ras Tod. Im selben Jahr machten sie ihre erste Tournee an der Westküste der USA.  Ab 1970 spielten sie auch internationale Konzerte unter anderem In Frankreich, Deutschland und England. In den nächsten drei Jahrzehnten hörte die Tour- und Aufnahmetätigkeit der Band nicht auf und das Sun-Ra Arkestra wurde zu einem Bezugspunkt für die musikalischen Avantgarde Weltweit. Bis Heute trägt es das musikalische Erbe von Sun Ra in die Welt. Geleitet wird es von Marshall Allen. der mittlerweile 98-jährige war seit 1958 Teil der Band.

 

Sun Ras Musik bewegt sich stets entlang der geschichtlichen Entwicklung des Jazz, angefangen mit klassischen Big-Band Swing, über Bebop, Modal Jazz und Jazz-Fusion, mehr und mehr hin zu von allen Konventionen losgelöstem Free-Jazz und Spiritual Jazz. Das besondere an Sun Ras Musik ist jedoch, dass sie von Anfang an durch einen kosmischen, futuristischen Sound geprägt ist. Er gilt er als Wegbereiter des Cosmic Jazz bzw. Space Age Jazz. Dieser entstand im Weltraumzeitalter der 1950er und 1960er Jahre und beinhaltet exotische elektronische Instrumente wie das Theramin und innovative Stereo-Aufnahmetechniken, um einen "futuristischen" Sound zu erzeugen. Hinzu kam die politische Emanzipation afroamerikanischer Jazzmusiker im Zuge der Bürgerrechtsbewegungen in den 60er Jahren und deren Wunsch, mit den „weißen“ Konventionen des Jazz zu brechen. Als Alternative zum Christentum suchten viele in ihrer Musik nach Transzendenz und Spiritualität, frei von Rassismus. Dabei orientierten sie sich an nicht-westlichen, afrozentrischen Klängen und dem Einsatz elektronsicher Klänge.

 

Diese Musik, die von afroamerikanischer Identität, spiritueller Verwirklichung und Weltfrieden sprach, wird Heute „Spiritual jazz“ genannt. In dieser Zeit, in der sich einige seiner Kollegen anderen weltlichen Religionen zuwandten, baute Sun Ra eine Welt auf, die seine eigene Sichtweise der afrikanischen Diaspora darstellte. Die Philosophie von Sun Ra kann möglicherweise am besten verstanden werden, wenn man sich seinen Film „Space is the Place“ aus dem Jahr 1972 ansieht. Der Film beginnt mit Sun Ra auf einem fernen Planeten, wo die Musik und Schwingungen sich stark von der Erde unterscheiden, wo die Luft erfüllt ist mit den Geräuschen von „Waffen, Wut und Frustration.“ Eine Kolonie wird speziell für diesen Planeten errichtet schwarze Menschen, denn nur auf einem fernen Planeten wird die schwarze Rasse frei sein, zu ihren natürlichen Schwingungen zurückzukehren und in Harmonie zu leben. Dies wird zu einem „veränderten Schicksal“ führen. Der Film enthüllt auch Sun Ra's Ideen, wie er sein Volk auf einen anderen Planeten bringen könnte. Dies kann erreicht werden durch „Isotopen-Teleportation, Transmolekularisierung, oder noch besser – den ganzen Planeten durch Musik zu uns zu teleportieren.“

 

Quellen:

 

https://en.wikipedia.org/wiki/Sun_Ra

 

John F Szwed, Space Is The Place: The Lives And Times Of Sun Ra, Da Capo Press

(1998)